Spirit, Sugar, Water, Bitters - Derek Brown, Robert Yule


Spirits, Sugar, Water, Bitters:

How the Cocktail Conquered the World

Derek Brown, Robert Yule / 176 Pages / May 2014


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Ich bin immer wieder fasziniert wie hoch mir der Durchschnitt bei Bartendern erscheint, die eine gewisse ungewollte Arroganz/Bedeutungsdrang in den nur 4-5 Seiten ihrer Einleitung versprühen. Über Gründe dürfen sich Psychologen auslassen und andere qualifizierte Personen, die sich hierin besser auskennen, als meine Wenigkeit. Dies kann diverse Formen annehmen, es gibt die Sorte, die gefühlt jede einzelne - ihrer Meinung nach - Errungenschaft ihres Lebens in den wenigen Seiten unterbringen müssen, sodass die Einleitung schlicht ein auf mehrere Seiten ausgestreckter Lebenslauf wird. Es gibt die (besonders schlimm), die offensichtlich mit großem Druck betonen möchten, dass sie besonders, crazy und nicht durchschnittlich sind. Jeder hat sowieso schon mit 5 Jahren die Kulinarik in der Familie mitbekommen, das zähle ich garnicht dazu. Mr. Brown erzählt nach einem kurzen Vorwort des offiziellen 10. Archivars der Vereinigten Staaten (mehr dazu weiter unten) unter anderem von seinem Besuch des Weißen Hauses 2009, wo er für den Präsidenten und seinen Senior Staff Drinks mixen durfte. Bei dieser Gelegenheit wurde er Präsident Obama als "The mixologist" vorgestellt, woraufhin dieser fragte ob das nicht einfach ein Bartender sei (hier musste ich wirklich lachen). Nach Mr. Browns Aussage war er aufgrund dieser ersten Reaktion wohl sichtlich enttäuscht, so dass der Präsident ihn sogar (angeblich) aufmunterte, indem er sagte ein Bartender sei ja auch wie ein Coach, ein Manager oder eben Präsident. Soweit, so schmalzig.
Die zwei Sätze danach haben es mir jedoch besonders angetan und sind möglicherweise das Highlight des Buches für mich. Obama, Mr. Brown aufmunternd, schließt seinen Vergleich von Bartender und Präsident überaus freundlich mit:

"Everyone thinks they can do it, but they can't, can they?”

Woraufhin Brown schreibt (nicht antwortete, immerhin):
"No, they can't. So much as I admire iconic cocktail writer David Embury's sentiment that anyone can make great cocktails, or as much as I jest about the tiny fame associated with craft bartenders and their drinks, I have some truly serious things to say.”

Ich lasse das mal so stehen.

Ein wirkliches Fazit bezüglich des Ganzen habe ich dann nach einem kurzen Ausflug der Recherche zu Derek Brown gezogen, sowie sehr breit schmunzeln müssen.
Hier ist sein (offensichtlich selbstverfasster) Wikipedia-Artikel, man erinnere sich an jene Obama-Anekdote und weiteren Worte:
https://en.wikipedia.org/wiki/Derek_Brown_(mixologist)

Wo fange ich an? Zwischen folgenden drei Dingen kann ich mir das Highlight einfach nicht aussuchen:

  • Das Artikel-Foto rechts oben

  • Das "Mixologist" hinter dem Namen im Eintrag (da es bereits Musiker & Co gab), statt wie im Artikel selbst "bartender", dies habe ich so auf Wikipedia meiner Erinnerung nach noch nie gesehen und auch nach Vergleichen kein anderes Beispiel gefunden

  • Die Warnung von Wikipedia darüber: "This article contains content that is written like an advertisement. Please help improve it […]”

Aus dem aktuelleren Geschichtsteil

Zurück zur Frage, warum der offizielle oberste Archivar der USA ein Vorwort für ein Cocktailbuch schreibt: Das Buch entspringt Brown's Arbeit als "Chief Spirits Advisor" für die National Archives Foundation, in deren Funktion er auch Seminare und ähnliches zur Geschichte der Cocktails und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gibt. Aufgrunddessen, wie er selbst schreibt, bezeichnet er sich manchmal humoristisch gemeint als "highest ranking bartender in the U.S. government”.

Auch das lasse ich im Bezug auf meine Worte oben mal so stehen.

Doch kommen wir endlich zum Rest des Buches, dies ist nämlich eigentlich weniger ein Cocktail- bzw. Rezeptbuch und mehr ein Geschichtsbuch. Wobei mir die Nutzung dieses Begriffes starke Schmerzen bereitet, dazu später mehr.

Derek Brown versucht hier in 10 Kapiteln auf ca. 150 Seiten die Geschichte der Mixgetränke zusammenzufassen, zwischen den Kapiteln finden sich immer je 4 (neo-)klassische Rezepte und 1 Rezept von ihm selbst, diese logischerweise chronologisch ungefähr zum besprochenen Thema passend.

Innerhalb dieser Kapitel gibt es sehr kleinteilige Abschnitte, fast jede Seite hat ihren eigenen Abschnitt mit Zwischen-Überschrift, oft auch für sich geschlossene Anekdoten. Hier merkt man, dass dies sein bisher einziges Buch zu sein scheint, er viel für Magazine schrieb und auch vielleicht einige der Texte wirklich direkt aus Vorträgen oder ähnlichem übernommen wurden. Sein Schreibstil ist definitiv leicht lesbar, durchaus frisch, vielleicht etwas gewollt locker, aber angenehm. Doch fehlt es manchmal an einem wirklich durchgängigen roten Faden, insbesondere auch passenden Übergängen, manchmal wird quasi von Anekdote zu Anekdote gesprungen, wenn auch chronologisch im selben Kontext. Neben den natürlich nicht vorhandenen Fußnoten und somit nachvollziehbaren Belegen der Hauptgrund, warum dies nicht ein wirkliches Sachbuch im Bereich Geschichte sein kann. Im Anhang zählt er immerhin die genutzten Quellen auf.

Trotzdem muss ich sagen, diese Schreibweise und Aufteilung hilft, einfach und schnell weiterzulesen. Es konsumiert sich eben als würde jemand einen gewollt kurzweiligen Vortrag, voll mal mehr, mal weniger interessanter kleiner Geschichten halten, man denke an TED-Talks.

Es gibt klassische, allgemeine Beschreibungen, besonders in der "Prä-Historie" des Cocktails und den ersten "offiziellen" Cocktails, natürlich einige Prohibitions- und Mafiageschichten, später Ausflüge zu 007 und Sex & The City mit dem Cosmopolitan. Besonders interessant finde ich eigentlich seine kurzen Texte bzw. die Auswahl der Themen in der Postmodernen Zeit, das - wie er es nennt - "Platinum Age" oder wie andere es nennen, die "Bar Renaissance". Hier werden teils einfach wichtige Bars, Marken oder auch sogar Tool-Shops (Cocktail Kingdom aus Japan) mit ihrer Bedeutung verewigt, durchaus nett dies in dieser Form zu würdigen.

Final ist noch eine durchaus nette "Spirited Timeline of American History" enthalten, über zwei Doppelseiten werden in sehr kleiner Schrift von der "Vorzeit" bis 2015 nochmal wichtige Daten aufgezählt. Hier ist Mr. Brown nochmal für einen Lacher (und nicht die gute Art) gut, neben historisch großen Ereignissen der Spirituosengeschichte (und teils auch allgemeiner Geschichte wie der Mondlandung, um einen zeitlichen Kontext zu geben), sind alle 3 letzten Einträge von 2009-2014 über ihn, öffnet Bar xy, wird Chief Spirits Advisor, öffnet Bar z.
Ich weiß wirklich nicht ob das witzig wirken soll?

1) Es interessiert niemandem im historischen Kontext (am ehesten noch, dass solch ein "offizieller" Posten generell vergeben wird).

2) Es hätte tatsächlich wichtige/bedeutende Ereignisse um wichtige Bars oder Spirituosen und Barkulturelle Ereignisse von 2009-2014 gegeben.

2 beispielhafte Classic/Neo-Classic Rezepte

Zu den Rezepten ist (leider) nicht so viel zu sagen, es sind halt wirklich einerseits die absoluten Klassiker, 40 Stück insgesamt, darunter auch ein paar nach heutigen Maßstäben fragwürdige Drinks, die aber eben aufgrund der historischen Bedeutung vorkommen (Stichwort Harvey Wallbanger). Andererseits seine 10 Drinks, teils einfach sehr simpel (im Fall seines Drinks für das National Archive z.B.) und auch in den besseren Fällen nicht "besonders" genug um allgemein das Buch in irgendeiner Weise für die Rezepte zu empfehlen.


Fazit:

So kritisch wie manches hier geklungen haben mag: Wer eine kurzweilige, zusammengefasste Geschichte der alkoholischen Mischgetränke (inkl. Cocktails) haben oder verschenken möchte, oder inbesondere einen Haufen netter, historischer Anekdoten für die nächste Cocktailrunde/-party sucht, kann hier durchaus bedenkenlos zugreifen. Modern-minimalistisch, aber solide produziert, jedoch ohne jegliche historische Abbildungen oder (Drink-)Fotos. Für Rezepte jedoch sollte man einen weiten Bogen um Brown's Werk machen, jedes einzelne andere Buch aus meiner Barbibliothek bietet dort interessanteres.

Man sollte sich nur bewusst sein, dass ein gewisser, von sich überzeugter Schreibstil genutzt wird und es sich in dem Sinne trotzdem auch nicht um ein Sachbuch handelt.

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