Baijiu: The Giant Of The East



Wie erklärt man jemandem, der noch nie Baijiu getrunken hat, diese chinesische Nationalspirituose? Es ist schlicht nicht möglich, selbst wenn man bereits Erfahrung mit anderen Spirituosenkategorien hat, ist Baijiu immer noch etwas anderes. Wir versuchen hier erstmal, ein paar ganz grundlegende Dinge zu erläutern, und hangeln uns darum für die ersten Schritte an einer Definitionsklärung entlang. So wie es eigentlich keinen eindeutigen „Whisky“ gibt, sondern der Stil sich im Praktischen dann auf Scotch, Bourbon, Irish Whiskey oder Roggenwhisky herunterbricht, gilt auch für Baijiu (locker übersetzt schlicht ja nur „weißer Schnaps“), dass man regionale Varianten findet, die bis auf den Namen, ein paar produktionstechnische Hintergründe und manche Details dann doch stark voneinander abweichen. Leichtaroma, Starkaroma, Soßenaroma und andere: wir stellen hier kurz vor, was diese Ausprägungen ausmacht.

Oben: Eindrücke von Xinghuacun, eine riesige, fast nicht mehr überblickbare Brennerei

Leichtaroma (清香, qingxiang)

Für den Einsteiger ist der Leichtaroma-Baijiu oft der einfachste Erstkontakt, denn hier finden sich die Charakteristika eines Baijiu auf noch relativ niedrig ausgeprägtem Niveau – ich betone hier das Wort „relativ“, denn auch so ein leichtes Baijiu-Aroma kann einen, wenn man nicht damit rechnet, direkt erschlagen. Nagellackentferner, Terpentin, Teer und Gummi gehören zu oft gehörten Einträgen in Tasting Notes, darüber muss man als Verkoster erstmal hinwegkommen, um dann die Hirseausprägung, die Floralität und die klare Struktur wertschätzen zu können. In Nordchina ist dieser Stil am beliebtesten, hier stehen die riesigen Fabrikstädte, in denen Leichtaromabaijiu in vielen Abstufungen gemacht wird – vom unanspruchsvollen Feuerwasser "fürs Volk", das weniger kostet als abgefülltes Wasser, bis hin zum elaborierten, 50 Jahre in Tonkrügen gereiften Edelbrand, der schnell mal ein ganzes normales Jahreseinkommen eines Chinesen beanspruchen würde. Hierzulande finden sich beide Varianten inzwischen, wer sich dafür interessiert, achte darauf, sein Bild dieser Kategorie nicht nur ausschließlich daraus zu bilden, was für 10€ im Asiamarkt vor Ort zu bekommen ist.


Starkaroma (浓香, nongxiang)

Wer die zweite große Kategorie, den Starkaroma-Baijiu, für sich eröffnet, wird ein doch erkennbar anderes Aromenbild vorfinden. Starkaroma-Baijiu hat sehr viel mehr Frucht im Körper, eine größere Spannbreite an Eindrücken – die zwei wahrscheinlich prägnantesten sind vergorene Ananas und fermentierte Pfirsiche, die in Kombination oft die Assoziation zu weißen Gummibärchen erzeugen. Der Alkoholgehalt ist eigentlich durchweg über 55%, das Mundgefühl oft so adstringent und trocken, dass es fast staubt. Hier gilt es zu betonen, dass dies keine Fehler sind, wie man sie bei Spirituosen im Westen gern festlegt, sondern notwendige Charakteristika, die der Haupteinsatzzweck erfordert: man trinkt Baijiu, egal welchen Stils, zum Essen. Und das südchinesische Essen ist, nun, sagen wir mal vorsichtig, pikant und würzig. Wer schonmal ein authentisches Sichuan Chili Chicken gegessen hat, bei dem man das Hühnchen unter dem Berg von Chilischoten kaum findet, weiß, wie dringend man nach einem Bissen einen Gaumenklärer braucht. Und dann hilft keine andere Spirituose so effektiv wie ein guter Starkaroma-Baijiu, der putzt den Mund frei, sorgt für angenehme Kühlung und Abwechslung. Darum gibt es kein chinesisches Bankett, bei dem nicht mindestens 3 Flaschen Baijiu auf dem Tisch stehen.


Soßenaroma (酱香, jiangxiang)

Hier spalten sich nun endgültig die Geister. Wir im Westen mit unserer Spirituosenkultur sind es einfach nicht wirklich gewohnt, umami-Noten in unseren Bränden zu finden, geschweige denn Aromen von Soja-Sauce (woher der Name des Stils auch stammt), Blauschimmelkäse, frischen Champignons und Spargel. Eine ordentliche Portion an Offenheit und Experimentierfreudigkeit gehört dazu, auch nur die erste Stufe der Lernkurve für Soßenaroma-Baijius zu erklimmen; doch mit der Erfahrung steigt auch die Erkenntnis, warum dieser Stil als Kronjuwel der chinesischen Spirituosenkultur gilt. Die Kombination aus den geschilderten Eindrücken mit sehr hohem Alkoholgehalt, einer extremen Adstringenz und kräftiger Säure lässt auch den baijiugeübten Gaumen manchmal verzweifeln, doch die guten Exemplare dieser Gattung haben gleichzeitig einen derben Charme und eine grandiose Eleganz, die auf eine verrückte Art und Weise verzaubern. Natürlich gehören sie dann mit zu den teuersten Produkten, die man im Baijiu-Sektor bekommen kann. Die sehr aufwändige Herstellung, die lange Fermentations- und Reifungszeiten beinhaltet und kaum auch nur ansatzweise maschinell unterstützt werden kann, ist neben der Prestigeträchtigkeit der größte Preistreiber.


Oben:
- die Distillerieapparate und Produktionshalle von Red Star Baijiu
- typische Erdgruben zur Fermentation
- "Qu", wichtig als Fermentationsstarter
- typische Tonkrüge zur Lagerung


Andere

Neben diesen großen drei gibt es noch ein Dutzend anderer Stile, teils Hybridstile aus den bereits erwähnten, teils einfach Spezialisiertere, die man nur in kleineren Regionen findet. Dazu gehören zum Beispiel das Phoenix-Aroma, Sesam-Aroma oder Reis-Aroma. Aktuell ist mir kein Händler bekannt, der Produkte dieser Randstile in Deutschland anbieten würde, darum ist zu diesem Zeitpunkt die Diskussion darüber eher akademisch; ich kann nur aus meiner Erfahrung darüber sprechen und mitteilen, dass man hier keine dramatisch andere Aromatik erwarten darf, sondern alle weiterhin fest in der grundsätzlichen sensorischen Struktur eines Baijiu verankert bleiben. Bei einem Sesam-Aroma-Baijiu ist dann eben eine erkennbare Note von geröstetem Sesam, wen überrascht es, vorhanden, ein Phoenix-Aroma-Baijiu hat einen sehr floralen Nebenaspekt.


Man sieht, es gibt viel zu berichten. Wir haben hier erstmal nur die Spitze des Eisbergs angekratzt, mit grundsätzlichen sensorischen Eindrücken; einen dreimal so langen Artikel kann man ohne weiteres darüber schreiben, wie Baijiu hergestellt wird, da gibt es selbst für erfahrene Spirituosenkenner Überraschungen und neues zu lernen. Ich empfehle für alle, die sich mehr mit dem Thema auseinandersetzen wollen, sich erstmal eine qualitativ hochwertige Abfüllung eines Baijiu zu besorgen und sich in diese exotische, völlig anders strukturierte Geschmackswelt möglichst unvoreingenommen hineinzubegeben. Danach stehen Dutzende Blogeinträge auf schlimmerdurst.net zur Verfügung, um sich zu vertiefen; und wer ganz ins Detail gehen will, greife auf die Bücher von Derek Sandhaus zurück, sowohl Baijiu: The Essential Guide to Chinese Spirits, als reines Fachbuch, als auch das prosalastigere Drunk in China sind lesbare und unterhaltsame Hilfsmittel, um Baijiu zu verstehen. Der Weg ist, das sage ich direkt, überhaupt nicht einfach und leicht, aber am Ende, wenn es im Kopf dann irgendwann mal „Klick“ gemacht hat, wird man sich freuen, diesen Weg gegangen zu sein.

Unten:

- Ein typisches Essen, zu dem Baijiu konsumiert wird
- Unterschiedliche Getreidesorten aus denen Baijiu hergestellt wird

Unten:

- Eine Karte Chinas mit der groben Verteilung der wichtigsten Baijiu-Stile in den Regionen (Quelle)

Alle Fotorechte liegen bei Helmut Barro, vielen Dank für die Nutzungsrechte

Next
Next

Wie ich mich in Bars verliebte (J.F. Edition)