Wie ich mich in Bars verliebte (J.F. Edition)



Fizzy, frisch, direkt und ein Nachgeschmack, der mit leichter Säure bleibt. Dunkler Samt und Marmor. Ich erinnere mich noch lebhaft an alle Eindrücke und den Moment, in dem ich Bars als etwas entdeckte, in das ich eintauchen wollte. Für einige von uns war es ein einzelner Zeitpunkt, ein Ereignis, ein Gespräch vielleicht, was das Interesse geweckt hat. Für andere war es vielleicht ein Prozess und eine langsame Erkenntnis. Ich glaube, die Gespräche mit Menschen, die Sportler, Musiker oder Barkeeper werden, sind in vielen Fällen sehr ähnlich. Ob es nun der entscheidende Moment ist oder subtile Einflüsse, ich glaube, sie alle können auf etwas verweisen, das sie zu dem Entschluss gebracht hat: „Ja, das ist etwas für mich“. Auch wenn wir uns 5, 10 oder 15 Jahre später daran erinnern, wie peinlich wir waren und wie wenig wir eigentlich wussten. Das aber ist ein Teil davon. Wahrscheinlich würde ich mich genauso fühlen, wenn ich in 20 Jahren zurückginge und diesen und alle anderen hier geschriebenen Artikel anschauen würde und über meine Meinung oder meinen Schreibstil lachen würde.

Umso spannender ist es doch, in Erinnerungen zu kramen und noch einmal zu erleben, was mich überzeugt hat, mehr Bars zu besuchen und mehr über Cocktails zu lesen (und letzten Endes auch zu schreiben). Vielleicht haben einige von euch Lust, das Gleiche zu tun.

Es war vor etwa 10 Jahren, als ich während einer Reise nach Berlin mit meinem Vater einen freien Abend hatte. Das gesetzliche Mindestalter für den Alkoholkonsum in Deutschland war schon längst erreicht, aber die Schule gerader erst hinter mir, hatte ich kaum mehr als pubertäre Experimente mit Alkohol. Familie und Freunde beschränkten sich auf Bier und Wein und alles, wofür mehr als zwei Zutaten benötigt wurden, war nur eine „ausgefallene Show“. Eine Einstellung, die auch heute noch zu finden ist: Warum sollte man beim Abendessen von einem guten Wein oder ordentlich gebrauten Bier abweichen und diese Spirituosen „ruinieren“? Die Neugier bei mir war jedoch da, nicht unbedingt wegen des Alkohols, sondern auf eine Geschmackserfahrung, die sich hinter einer anderen Art von Kultur zu verbergen schien. Beim Kaffee war ich bereits auf Entdeckungsreise, seit ich French-Press und Espresso verglich, die in meinem örtlichen Café serviert wurden und die ich während meiner Schulzeit stundenlang getrunken hatte. Schade nur, dass es nicht auch eine Bar in der Nähe gab.

Berlin war damals der Ort, an dem man sein musste. „The place to be“, so schien es zumindest. Schließlich ist es die Hauptstadt, da sollte man das Beste bekommen, was das Land zu bieten hat. Also schlenderte ich allein über den Potsdamer Platz, immer fasziniert von seiner Geschichte nach der deutschen Wiedervereinigung. Konzipiert als „neuer“ Stadtmittelpunkt, ein aggressiv-modernes Symbol des Jahrtausendwechsels. Ich hatte keine Ahnung, was für einen Cocktail ich überhaupt wollte. Meine Vorstellungskraft reichte nur so weit, wie die Popkultur mich beeinflusst hatte: Martinis, Mai Tais und Manhattans (wenn man mich damals gefragt hätte, was in einem Manhattan ist, ich hätte keine Ahnung gehabt). Inspiriert wurde ich von einem Buch, das ebenso unvollkommen und kritisch zu sehen ist wie die Stadtlandschaft, die mich damals umgab: „Der Große Gatsby“. Da ging es um klassische Drinks der amerikanischen Vorkriegs- und Prohibitionszeit, in hohem Maße von F. Scott Fitzgeralds eigenen ungesunden Trinkgewohnheiten beeinflusst. Der kulturellen Bedeutung von Cocktails in Büchern und Filmen können wir ein andermal einen ganzen Artikel widmen. Ich bin sicher, dass James Bond und sein Martini für viele prägend gewesen sein muss. Also beschloss ich mit unverdienter Zuversicht, dass ich etwas Erfrischendes wollte, im Stil all der Cobblers und Fizzes und Smashes, die von Männern mit Boater Hats getrunken wurden, um der Hitze der Stadt unter den Wolkenkratzern zu entkommen.

Man stelle sich das Gefühl des Schicksals vor, als ich die goldenen Buchstaben des Ritz vor mir sah. Es gibt keinen besseren Ort für einen klassischen Cocktail als eine klassische Bar. Ein Name, der in Büchern und Liedern vorkommt und der von vielen der Namen auf den Buchrücken meines Regals besucht wurde. Ich hatte natürlich keine Ahnung, was für eine Art von Bar dort war. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die einzigen Bars, in denen ich gewesen war, auch Restaurants oder Bistros oder Cafés oder der Teil des Hotels, in den man geht, wenn alles andere geschlossen ist. Sicherlich geht man nicht dorthin, um zu trinken, Gott bewahre. Die Hotelbar ist etwas für überarbeitete Manager und abgehalfterte Filmstars. Zumindest hatte man mir das gesagt. Zeit, es selbst herauszufinden.

 

Der Eingang des bekannten Ritz-Carlton am Potsdamer Platz

Also ging ich durch den Eingang, am Empfang vorbei, über den Marmorboden, zur Rezeption, fragte, wo die Bar ist, ging links zur Treppe, vorbei an den schweren Samtvorhängen und in den Berliner The Curtain Club. Ich setzte mich an die Bar, überwältigt von der Einrichtung und dem Ambiente. Ich erhielt eine Karte und beobachtete einen Mann in einem karierten Anzug, der hinter der Bar selbstbewusst den Verkehr regelte. Wer bis hierher gelesen hat, erkennt sicher den Unterton der Nostalgie, den man nicht loswird, wenn man auf einen solchen Moment zurückblickt. Voreingenommenheit an sich ist nicht schlimm, sie nicht erkennen zu können schon. Ich habe keinen Zweifel daran, dass jeder und jede von uns, der oder die versucht, sich an einen Moment zu erinnern, der auf dem Weg prägend war, auch von Nostalgie durchdrungen wäre. Ich glaube jedoch, dass es ein Glücksfall war, dass ich in den Curtain Club gegangen bin und nicht in eine der anderen Bars, die im Internet aufgelistet wären. Vielleicht wäre es irgendwann trotzdem passiert, vielleicht hätte ich hundert andere Orte besucht, die sich nicht so anfühlten, bis ich den Weg dorthin gefunden hätte. Vergessen wir nicht, dass es keinen Zeitplan gibt, der uns vorschreibt, wann wir was zu tun haben. Wenn jemand im Alter von „XYZ“ beschließt, in die Bar- und Cocktail-Kultur einzusteigen, sollte er oder sie das unbedingt tun.

 

Der alte, originale Curtain Club / Copyright: Chris Cypert | Ritz-Carlton Presse

Als ich dort saß und mir die Karte ansah, wurde mir klar, dass es hier um weit mehr ging als nur um Trinken oder Geselligkeit. Es war ein Raum, der für einen bestimmten Zweck entworfen wurde und dennoch Charakter hatte. Viele der Flaschen hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Es herrschte ein Gefühl der Begeisterung und Leidenschaft, das sich sehr von dem eines Ortes unterschied, an dem den Leuten Essen und Getränke serviert wird, nur weil sie dafür bezahlen. Ich wollte etwas mit Zitrus, etwas „aus der Vergangenheit“, und so traf ich meine Wahl: Ein Gin Fizz. Gin hatte ich probiert. Abgestanden, Zimmertemperatur, London Dry. Ich hatte auch Gin and Tonics probiert. Wässrig, fade. Ich hatte auch einmal einen „Gin Fizz“. In einer Brüsseler Kneipe wurde mir ein sogenannter „Gin Fizz“ serviert, zwei Schuss billiger Gin, aufgefüllt mit Zitronensaft aus der Flasche und etwas Leitungswasser. Die Zutaten kamen mir irgendwie bekannt vor und ich rechnete fest damit, wieder enttäuscht zu werden. Man muss bedenken, dass ich keine Ahnung hatte, was für eine Bar der Curtain Club war, wer Arnd Henning Heissen war oder wie ich erkennen konnte, ob die Zutaten wirklich gut waren oder nicht.

 

Es handelt sich hier natürlich nicht um einen Gin Fizz, aber diese Skizze habe ich einmal gezeichnet, direkt inspiriert dadurch. /jf

 

All das hat sich geändert. In dem Moment, als ich meinen Gin Fizz auf die Theke bekam, wusste ich, dass er gut war. Zitrusfrüchte mischten sich erfrischend mit Zucker, der Gin verlieh ihm Tiefe und genau den richtigen trockenen Nachgeschmack, der zusammen mit der Zitrone ein angenehmes Prickeln hinterließ. Es gab absolut keinen Alkoholgeruch, nichts Schales. Die Textur war angenehm und gleichmäßig. Wenn jemand schon einmal in einem Sterne-Restaurant gegessen hatte, nachdem er oder sie vorher nur in normalen Restaurants gewesen ist, dann ist das genau der Unterschied.

Ich weiß, was jetzt als Antwort kommt: „Das ist Nostalgie“. So ist es. Ein Gin Fizz, so angenehm und erfrischend er auch sein mag, ist nicht die Krönung der Cocktailkultur. Zwischen einem schlecht gemachten Gin Fizz und einem gut gemachten liegen Welten, Ja. Ich würde sogar behaupten, dass ein ordentlicher Gin Fizz, wie oben beschrieben, besser ist als ein trauriger Versuch, irgendeine Art von Old Fashioned zu machen. Aber am Ende des Tages ist es immer noch ein erfrischender, leichter Drink und etwas, das man konsumiert. Was meiner Meinung nach wirklich einen Unterschied gemacht hat, ist die Einstellung und der Ansatz, etwas wie Cocktails ernst zu nehmen. Ich weiß genau, dass der Curtain Club wahrscheinlich nicht einmal die beste Bar in Berlin oder gar in Deutschland zu dem Zeitpunkt war. An diesem Tag unterhielt ich mich mit Arnd, und zum ersten Mal war jemand, der oft nur zum Servieren da ist, jemand, mit dem ich reden wollte. Wir sprachen über Bars im Allgemeinen, was einen guten Longdrink ausmacht und was man tragen kann, wenn man in einer Bar arbeitet. Bei meinem nächsten Besuch ging ich auch zu Fragrances, was eine ganz neue Ebene eröffnete, um mich auf ein paar Signature Drinks und sensorische Erfahrungen zu konzentrieren. Fragrances war Arnds zweite Bar im selben Gebäude, die eine kleinere Auswahl an Cocktails auf der Grundlage von Parfüms anbot. Die Gäste konnten das Parfüm riechen und allein auf der Grundlage dieses Eindrucks entscheiden, was sie trinken wollten.

Es wurde nie versucht, mich dazu zu drängen, etwas zu probieren, wofür ich nicht bereit war. Da ich jetzt weiß, wie sehr südamerikanische und ostasiatische Spirituosen eine Spezialität im Curtain Club sind, könnte man annehmen, dass sie sich über jeden lustig machen würden, der diese nicht zu schätzen weiß. Der Weg dorthin war eine Reise für mich und etwas, das ich selber herausfinden musste. Heutzutage sind meine Lieblingsspirituosen natürlich vorrangig gelagerte, wobei Whisky und Rum immer noch weit vor allen anderen liegen. Der Gin Fizz bleibt ein nostalgischer Teil dieser Reise, auf den gerne zurückblicke. Vielleicht ähnlich wie ein Künstler auf seine Zeichnungen aus der Teenagerzeit. Falls jemand neugierig auf das heutige „Erbe“ des Curtain Club ist: Er existiert immer noch als eine gute Luxushotelbar in Berlin mit überdurchschnittlichen Drinks. Arnd selbst hat nicht weit entfernt eine neue Lokalität eröffnet, den Artikel könnt ihr hier lesen. Auch wenn der Gin Fizz nicht mehr mein Lieblingsgetränk ist und ich meine Drinks schon lange nicht mehr danach auswähle, was ich in Büchern und Filmen sehe, kann man ihn dennoch als Maßstab für jede Bar verwenden, die sich selbst ernst nehmen will. Wenn man die Grundlagen unterschätzt, kommt man nicht weit. Wenn man für einen solchen Drink keine frischen Zutaten verwendet, wird er fad sein. Wenn man billigen Gin verwendet, wird er flach sein. Wenn man schlechtes Eis verwendet, wird er wässrig sein. Wenn man kein Gespür dafür hat, wie wichtig das Gleichgewicht zwischen süß und sauer ist, wird er entweder zu sauer oder zu süß sein. Wenn man sein Eiweiß (oder irgendeinen Ersatz) nicht kennt, wird man die Textur nicht hinbekommen.

Nehmen wir uns alle einen Moment Zeit und versuchen wir, uns an etwas Ähnliches zu erinnern. Um der Nostalgie willen und um zu erfahren, wie sich diese Entdeckung angefühlt hat, um uns zu inspirieren, ein paar Drinks aus der Vergangenheit in die Gegenwart mitzubringen, oder um uns daran zu erinnern, wie weit wir gekommen sind und wie wir uns verändert haben.

/jf

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