#64 | Old Crow, Zurich, Switzerland
Last Visit: Winter 2023/2024
Bar-Legende Charles Schumann sagte vor Jahren in einem Interview zu seinem Film "Schumanns Bargespräche": "Es gibt viel zu viele Angeber-Bars, in denen jeder wichtiger ist als der Gast selbst. Das siehst du sofort. Man redet immer über Gastfreundschaft oder Hospitality. Es sollte ganz normal sein, dass man in einer guten Bar gastfreundlich ist. Das heißt nicht immer, dass ich – Charles Schumann – gastfreundlich bin, im Gegenteil. Ich arbeite so viel, dass ich Leute oftmals nicht ertragen kann."
Jetzt nicht direkt befürchten, dass man auf den falschen Artikel geklickt hat, hier geht es schon um die Old Crow Bar, doch, doch. Nur als ich letztens nochmal dieses Interview las - während ich schon den Artikel für Markus Blattner's Bar angelegt hatte - fiel mir auf, wie nah die Worte von Herrn Schuhmann an die von Blattner in einem Beitrag über ihn in der Mixology (2/2024) kommen.
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Nun, den letzten Part würde Blattner sicher nicht so sagen; im Gegenteil empfängt und verabschiedet er Gäste gerne, beobachtet sie sonst auch aus der Sicherheit hinter der Theke. Aber er äußert auch klar, dass er die Bars, die zu sehr auf aktive Interaktion und Präsentation und Konzeptvermittlung setzen, zumindest selbst nicht vorzieht. Professionalität, Ruhe, Höflichkeit, Gastfreundlichkeit, aber eben keine langen Vorträge oder Vorstellungen von Drinks sind hier die Idee und ich kann das sehr respektieren. Vor allem passt es sehr zur klassischen American Bar, die er sich erschaffen wollte und auch vorher in gewissem Maße in der berühmten Widder Bar bereits geprägt und geleitet hat.
Dazu gehören dann auch Details, wie dass die Drinks alle auf weißen Tüchern zubereitet werden. Das ist zwar jetzt keine akademisch akzeptable Sample-Size für eine Statistik, aber exakt 2 von 2 Bars, die dies bisher so gehalten haben und die ich besuchte, befinden sich in Zürich. Eine classy Stadt eben, ob bei Old School Bars oder modernen Konzepten (die andere war übrigens die elegante Kronenhalle). Das scheint auch mehr als anzukommen, so war die Old Crow neben der Bar am Wasser definitiv die vollste Bar bei meinem Zürich-Trip. Es hat immer einen ganz eigenen Charme, von außen eine an sich klassisch wirkende Bar, mit dunklem Holz, in einem alten Haus, voll von Menschen und warmem, einladendem Licht zu sehen (vor allem im Dezember).
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Ich habe absichtlich das Foto des weiten Innenraums oben gewählt, damit man eine Idee für die Räumlichkeit hat, insbesondere den Teil abseits der Theke selbst, der oft nur auf Fotos zu sehen ist. So hat man noch Bereiche mit Gasthaus-artigen Holzbänken und -tischen an den Wänden, sowie einen schicken Torbogen zu einem weiteren, kleinen Raum. Das Foto stammt jedoch aus der Anfangszeit, inzwischen findet sich noch etwas mehr Deko an manch Wänden, Details wurden über die Jahre liebevoll hinzugefügt. Generell hat mich das Foto oben überrascht, als ich es online sah. Abends im Dunkel ankommend und mit soviel Leuten darin, liegt der Fokus schnell nur auf Bar und die Regale mit Flaschen. So hatte ich die täuschende, falsche Erinnerung, der ganze Raum wäre großteils in dunklem Holz, dabei sind es nur Möbel und einzelne Elemente, das strahlende Weiß dient eher als Leinwand. Alles wirkt sehr ruhig und stimmig, als wäre es noch viel länger als nur die etwas über 11 Jahre hier gewesen, exakt so wie jetzt.
Zu den Flaschen, bei denen man schnell visuell landet: Es gibt so einige. Wie gefühlt jeder einzelne andere Artikel, werden wir den Fun Fact auch kurz aufbringen: ca. 1.600 Flaschen zählen zu der Sammlung, ca. 900 Whiskyabfüllungen. Vor allem spannend finde ich auch die durchaus große Auswahl an Vintage Likören, von nicht allzu seltenen (bzw. teuren), cool aussehenden Bols Bottles der 1960er bis 1970er, bis zu einem der preislichen Höhepunkte überhaupt bei Spirituosen aktuell: Vintage Chartreuse. Wer die Auktionen die letzten Jahre verfolgt, weiß, dass alte Chartreuse um 1940-1950 teils bei 2.000 € und auch mal mehr liegen kann, verrückte Welt.
Das Menü ist positiv oldschool, heißt simple Listen, schwarz auf weiß und eine Tonne an Drinks. Gezählt habe ich sie nicht genau, aber gut über 50 dürften es sein, alleine 8 mit Sake, generell ist es großteils nach Spirits aufgeteilt.
Ouverture
| French Vermouth
| Italian Vermouth
| Scotch
| Chartreuse MOFS
Eine klasse Repräsentation des klassischen Old Crow Styles, Noilly Prat, Antica Formula, Johnny Walker Black Label, alles nicht weltbewegend oder "besonders", aber bewusst gewählte, grundsolide Marken, die gut miteinander harmonieren. Highlight ist hier eher mein geliebter Chartreuse MOFS, den ich ja eh immer jedem empfehle. Insbesondere in stirred Drinks, egal ob gelbe oder grüne im Original vorgeschrieben ist, stattdessen diese "Premium"-Variante mal austesten! Das Ergebnis ist fast immer fantastisch. Auch hier hatte man dann einen sehr schön balancierten, stimmigen und doch tiefen, Wermut-fokussierten Drink vor sich, mit etwas Körper vom Scotch und der Tiefe der Chartreuse. Gedörrte Trauben, leicht rauchige Malzigkeit, Kräuterhonig und alles perfekt ineinander übergehend.
Nightshade
| Islay Single Malt
| Port
| Bitters
| Sugar
| Klosterfrau Melissengeist
Nochmal eine Steigerung zu dem oben, ein Caol Ila 12 (eh eine unterschätzte Brennerei…) trifft auf Portwein, Bitters und ein wenig Melissengeist, der hier seinen perfekten Einsatzort findet. Wieder schöne Malzigkeit, mineralische Noten von einer Meeresbucht, etwas dunkle Kirschen, Muskat und Zimt, dann feiner Melissentee. Tiefgängig, wie bei dem oberen fließt alles so dermaßen ineinander über, dass es als eigener Spirit neu gebottled werden könnte.
Vor den beiden genannten hatte ich auch noch einen Nikkita mit japanischem Whisky, Yuzu Sake, Teelikör, Zitrone und Chartreuse. Den empfand ich als solide, aber ein wenig eintönig auf Yuzu fokussiert.
So ist mein Fazit auch eine klare Empfehlung die Old Crow für ihre Stimmung und ihren Service, aber vor allem auch für die extrem gut balancierten, gerührten Drinks und den ein oder anderen Champagner-Drink zu besuchen. In jenem Mixology-Interview kam z.B. auch der Nachtvogel vor, erneut Islay Whisky, Bitters, auch wieder Port, hier aber in Kombi mit Champagner. Ich kann mir direkt blind vorstellen wie gut der funktionieren wird, ähnlich wie bei meinen stirred Drinks. Man darf als Highend-Cocktail Fan nicht jeden Drink auf dem Menü zu ernst nehmen, wie Blattner auch selbst sagte. Zwischen den vielen Seiten findet sich auch mal eine Bailey's Banana Colada, diese Cocktails mit kleinem Augenzwinkern an "frühere" Zeiten bilden aber die klare Ausnahme. Die Old Crow weiß, was sie anzubieten hat und kann und das Publikum weiß es zu Recht zu schätzen. Hoffentlich bleiben Bars dieser Art auch noch weitere Jahrzehnte erhalten.
/rds
Auszüge aus dem Menü (anklicken für Originalgröße):