#60 | Paradiso, Barcelona, Spain


Last Visit: Spring 2025

Wir haben ja bereits einige große Namen besprochen, von Clumsies zum Experimental Cocktail Club, aber wahrscheinlich landen wir mit dem Paradiso dann doch nochmal beim zumindest auch aktuell größten auf Liquid Thoughts. Die entsprechenden Auszeichnungen zeigen sie natürlich auch stolz online auf der Website, siehe unten. 2017 wurden sie noch in die "Ones to Watch" der World’s 50 aufgenommen, 2018 bereits auf Platz 37 eingestiegen und seitdem in den Top 20. Dann 2022 auf die Weltspitze, die Nummer 1 der World's 50, gefolgt von Platz 4 und aktuell Nr. 10.

Doch fast interessanter als die reine Platzierung und Auflistung ist, dass das Paradiso 2022 die erste Bar seit Beginn der Liste 2009 war, die nicht aus London oder New York stammte, der Hauptstädte der "Old World" im Bar Kosmos. Noch spannender dann, dass sie in gewissem Maße damit ein Präzedenzfall waren, denn die 2 Listen seitdem haben ebenfalls nicht mehr London und New York oben gesehen, sondern nochmal Barcelona mit dem Sips (unser Review folgt natürlich noch) und aktuell Mexico City mit dem Handshake Speakeasy. Natürlich liegt das weniger an einem kulturellen Kampf, den Paradiso geführt hat, sondern eher an der allgemeinen Globalisierung der High End Barkultur. Trotzdem ist es ein besonderer, vllt. sogar der coolste historische Fakt bzw. "Verdienst", den man sich auf die Fahne schreiben kann. Trotz all dem hatten mich bereits mehrere Freunde vorgewarnt, zwei sehr kompetente Bartender, sowie ein Barfly, der erst kürzlich in Barcelona war. Man solle nicht zu viel erwarten, viel Aufwand, nicht ganz so viel dahinter. Schauen wir mal, ob dem so ist.

Kommen wir zur Bar selbst, diese liegt sehr zentral, in der Nähe der Küste, mittig zwischen Hafen und dem Parc de la Ciutadella. Kommt man aus der Innenstadt, findet man eine unscheinbare Fassade mit dunklem Schild in einer Fußgängerzone vor. Hier hat man einen kleinen Vorraum zur Bar, der anscheinend ein Pastramishop ist/war, jedoch haben wir dort niemanden je etwas kaufen sehen. Vermutlich war das alles anfangs noch mehr Speakeasy und Teil des Konzepts. Inzwischen sind natürlich alle wegen der Bar hier und diese hat auch wenig überraschend stets eine genau geplante Menschenschlange & Servicepersonal davor, das einen anweist, nach Gästezahl fragt, usw. Im Gegensatz zu Sips gibt es bei Paradiso jedoch keine Reservierungen, dafür ein System mit QR-Code, den man vor Ort scannen kann und sich damit in einer virtuellen Schlange anstellt. Eine durchaus sehr praktische Idee, um nicht soviel Zeit zu vertrödeln.

Tritt man dann ein, erwartet einen der Blick, den wohl jeder halbwegs an internationaler Barkultur Interessierte schon zuhauf auf Fotos gesehen hat: Die aus hellen, organisch zugeschnittenen Holzabschnitten bestehende Bar. An der gegenüberliegenden Seite finden sich Plätze an einer Wand, die wiederum mit ein paar Spiegeln geziert ist und mit gepolstertem Leder verkleidet. Ich will nicht pingelig sein, die Bar sieht durchaus beeindruckend aus auf den ersten Blick, aber man kommt nicht um das Gefühl herum, dass das Design nicht 100% zu Ende geführt wurde. Das Leder wirkt eher altbacken und kontraproduktiv zum Rest des Designs, besonders im Zweitraum neben der Bar, der komplett in dem Leder gehalten ist. Auch die seitlichen Wände mit dem schlichten Tropik-Print wirken nicht ganz so wertig, erinnern an günstige Instagram-Cafés. Noch schlimmer, jener Tropik-Print wiederum zerschnitten, mit schwarzen Elementen ziert auch die Uniformen der Bartender, was mir endgültig den ästhetischen Rest gegeben hat. Einer der ersten Anhaltspunkte, der ein wenig an eine schickere Theme Park Experience erinnert, wo auch viel beeindruckt werden will, im Detail dann aber die Nähte umso mehr auffallen. Nicht falsch verstehen, full on Klischee Tiki-Bars, die in ihrer selbst bekennenden Fantasie aufgehen, feiere ich über alle Maße. Aber das hier findet sich in der Schwebe zwischen gewollt edlem, aber nicht gekonntem Design und einer Prise magischem Tiki, aber letztendlich auch wieder nicht wirklich. Denn dafür fehlt wiederum jeder Rumfokus und mit all diesen Kleinigkeiten, die dann stören oder auffallen in der Designsprache, geht es schon ins Uncanny Valley über.

Der nächste Anhaltspunkt wäre zum Beispiel, wenn man sich fast erschreckt, weil einen erstmal alle, wirklich alle Bartender begeistert und lautstark begrüßen, wenn man durch die Tür kommt. Eine Erinnerung machte sich breit, wie ich im Boden versinken wollte, als bei der häuslichen Geburtstagsfeier ein Gang aus Kindern "errichtet" wurde, durch den ich schreiten musste, während mir ein Lied gesungen wurde. Jenes Gefühl wechselt dann schnell zu schlichtem genervt sein, wenn dieses laute "HOLA" und weitere Rufe jedes Mal wie ein Militärgruß von 5+ Leuten gerufen werden, bei jedem neu eintretenden Gast, während man an der Bar sitzt. Vielleicht ist auch einfach mein Deutschsein daran schuld, wenn ich da unwillkürlich an das Klischee der aufgesetzten kalifornischen Freundlichkeit denken muss. Apropos Freundlichkeit und Service: Der war hier dann am Ende durchaus professionell, gut Auskunft gebend und solide, aber wie immer in solch bekannten Bars natürlich auch rund um die Uhr beschäftigt.

(anklicken für Originalgröße)

Freizeitpark-Beweisführung, nächster Teil: Das Menü. Ob ich QR-Code Menüs weniger ausstehen kann oder Menüs auf Tablets (das dürfte, was das betrifft, sogar die Premiere gewesen sein), kann ich gar nicht sagen. Immerhin gibt es natürlich auf den Tablets mehr Platz für Design. Aber das künstliche Licht und vor allem das Konzept bzw. Abhanden sein davon macht dies auch nicht gerade zum Vorzeigebeispiel, was mit Tablets möglich wäre. Außer man versucht es komplett allgemein zu halten und nennt das Konzept "Fantasie", denn ich sehe hier keinen Zusammenhang. Zwischen den einzelnen Drinks wird zwar über den farblichen Background unterschieden zwischen "Universum", "Natur" und was auch immer die anderen sein sollen. Aber das führt nur dazu, dass es mit den wilden Farben und Mischungen an Inspirationen nicht nur wie eine Theme Park Bar wirkt, sondern als hätte man gleich alle Theme Park Bereiche und deren Bars zusammengeworfen. Gut passt dies natürlich, wenn man das mit einer Art Erlebnistourismus verbindet. So fällt es selbst in einer touristenreichen Stadt wie Barcelona sofort auf, dass hier 100% "Ich möchte beeindruckt werden"-Tourismusanteil unter den Gästen vorhanden ist.

Für mich wiederum ist die wilde Ansammlung an Themen zu viel des Guten. Hier geht es tatsächlich von Anspielungen auf Comics (Kriptonite) in den All Time Classics, zu pseudo-archäologischen Mysterien (Atlantis), zur Milchstraße (Milky Way), zurück zu den Aromen von Regen (Dry Storm) im Stile von Parfüm-Drinks oder Molecular Mixology. Die Präsentation wie unten zu sehen deckt dementsprechend auch ein sehr weites Spektrum ab, das im einzelnen sogar echt nett ist (insbesondere Teile der Keramik), aber teils auch wieder weird und "gimmicky" herüberkommt. Als Beispiel seien LED-Lichter genannt, die Drinks von unten beleuchten.

Der Umfang kann sich dafür definitiv sehen lassen für so ein an sich aufwendiges Menü, 15 Signatures der aktuellen Karte, sowie noch 7 weitere "Classics" im Sinne von "beliebte Drinks von früher von uns". Dazu gibt es eine nette Auswahl an Snacks, passend zum Pastramishop vor der Bar. Logischerweise das danach benannte Sandwich, aber auch geräucherter Wolfsbarsch oder ein veganes "Hähnchen"-Kimchi-Sandwich. Wir entschieden uns schlicht für das (gute) geröstete Brot mit geräucherter Butter.

Dry Storm

| Whisky Johnnie Walker Gold
| Beetroot
| Fig Leaf Liqueur
| Mancino Secco Vermouth
| Moss Bitters
| Tío Pepe Sherry

Definitiv ein "nice try", geht sehr Richtung Dry Martini, blind würde man tatsächlich null auf Whisky kommen als Basis. Die Rote Beete ist redistilled mit dem Johnnie Walker und wird damit quasi zu einem eigenen Spirit. Der Drink will passend zur Präsentation und dem Namen quasi ein wenig die Ozonnoten einfangen, die man mit Regen bzw. dem Geruch direkt nach Regen verbindet, ähnlich manchen Parfüms. Das macht er solide, wie gesagt, ist er vor allem sehr trocken. Denn der trockene Sherry + nochmal trockener Vermouth und auch trockene Feigenblätter machen es mir schon etwas zu extrem, um ihn wirklich genießen zu können. Gleichzeitig immer noch trinkbarer (da weniger boozy) und interessanter als ein normaler Extra Dry Martini. Mir fehlte noch ein wenig Perfektionierung der Idee und Abstimmung der einzelnen Zutaten.

/rds

Tlaloc

| Tequila Patron Blanco
| Mezcal Montelobos
| Cocoa and Tamarillo Liqueur
| Green Pepper Chutney

"A cocktail inspired by the Mayan god of rain and agriculture, blending tradition and bold flavors in a spicy margarita." Soweit die Beschreibung im Menü. Und als solcher Margarita Twist funktioniert der Drink auch ganz solide. Zu Beginn, gerade mit der Eiscreme am Stiel obendrauf, sehr stark erinnernd an Salted Caramel Eis, die Spirits geben wiederum die Mineralität hinzu. Was mir gut gefällt, ist die spezielle Säure durch das Chutney, was definitiv mal etwas anderes ist als immer nur üblichen Zitrussorten. Für mich mit Abstand der beste Cocktail unseres Besuchs. Aber das sollte einem eher zu denken geben, gerade, wenn man in einen unserer Artikel von kurz davor zum Liquid Garden schaut und merkt, dass der Tlaloc dort z.B. eher unten landen würde.

/jf

Subterranium

| Zacapa 23 Rum Clarified With Goat's Milk
| Hay Liqueur
| Celery Root
| Apple & Horseradish Cordial

Einer der Drinks, um den viel PR und aufwendige Erklärungen geboten werden. Was immer heikel ist, da damit natürlich entsprechend auch Erwartungen steigen und man etwas bieten muss, was manche hinkriegen (z. B. No Idea mit ebenso netten Geschichten dahinter) und manche nicht. Hier ist eher zweiteres der Fall. Grundlegend ein Rum Sour/Daiquiri, wo nur der Rum ohne den Rest mit Ziegenmilch geklärt wird und der grundlegend an alte, antike Städte "unter der Erde" angelehnt ist und deren vermeintliche Mysterien. So wird auch der Drink in einem Keramikgefäß serviert, mit Liquid Smoke garniert, dann der Deckel abgenommen und beim Austrinken findet man nach und nach eine kleine Keramikstadt am Boden des Gefäßes, durchaus nette/kreative Präsentation.

Zusätzlich gibt es Zutaten, die in der Erde wachsen und man damit verbindet, wie Knollensellerie und Meerrettich, dazu im Garnish sogar Insekten mit einer Ziegenmilch-Creme und Sprossen, sowie Oliven. Letzteres klingt spannender als es ist, die Insekten (großteils Larven, schätze ich) schmecken nach nichts, bzw. werden komplett von der Creme überlagert. Womit es einfach nach etwas Joghurt mit 1–2 Blättchen Salat schmeckt, nun ja … Der Drink selbst ist nicht schlimm, aber am Ende einfach ein Daiquiri ohne knackige Säure und Frische, oder auch schönem Rum, sondern mit leicht gemüsig-weirder Beinote, die es aber nie schafft wirklich "spannend kulinarisch" zu wirken. Meh.

/rds

Kriptonite

| MG Paradiso Gin
| Shiso
| Lemon Grass
| Sichuan Pepper
| Riboflavin
| Electric Liqueur
| Grapefruit Cordial
| Chocolate Bitters
| Kaffir Lime Essential Oil

Eine lange, lange Liste an Zutaten. Das Ergebnis ist dann fast schon amüsant. Für mich der schwächste Cocktail und das bei einem der "ultimativen Klassiker der Bar und Signature Drink". Na gut, vielleicht einfach ein Produkt seiner Zeit oder seitdem doch abgeändert worden, aber was hier herauskommt ist ein seltsam unaromatischer Gin-Drink, der mich eher an pure Gin-Sorten mit Zitrusnoten erinnert. Als hätte man einfach alle Zutaten (von denen 5 alleine in Richtung Frische/Zitrone gehen …) zusammen in den Gin geworfen und das als Produkt abgefüllt, Label drauf, der Hype erledigt den Rest. Mit gutem Willen könnte man den Kriptonite als "spirit forward" beschreiben, zumindest mehr als bei den anderen hier genannten, aber Lust auf den Gin hab ich danach noch weniger. Die Präsentation mit der Beleuchtung, wo der Untersetzer größer wirkt als das Glas, tut dann sein Übriges, um die ganze Erfahrung zurück ins Jahr 2010 zu bringen.

/jf

Was machen wir aus all dem nun? Um ehrlich zu sein, von einer World's 50 Bar - geschweige eine mit dem Standing und den Auszeichnungen von Paradiso - erwarte ich mir weit mehr, als 2 recht miese Drinks, die ich nicht mal in einer "Standard"-Bar für 12–15 € austrinken würde; dazu ein solider, aber nicht ganz gelungener Versuch und ein netter spicy Margarita-Riff. Das Menükonzept wirkt recht all over the place, die Ästhetik in Teilen der Bar und den Uniformen teils leicht danebengegriffen. Zusammen mit dem künstlich wirkenden Vibe und dem leuchtenden Tablet-Menü, fühlt man sich ein wenig wie in einer Theme Park Bar, die mehr versuchen möchte, als sie zu stemmen in der Lage ist.

Generell fühlt sich der Vibe mehr an wie in einer Bar, die eher ein paar Jahre früher in so Listen gelandet wäre als 2019–2025. Gerade auch mit der aufwendigen Präsentation erinnert es an Orte wie Nightjar in den frühen bis mittleren 2010ern, mit mehr Schein als Sein, nur eben hier mehr kulinarischen Zutaten. Am Ende kann man alleine, um es mal gesehen zu haben, trotzdem vorbeischauen und findet sicher den ein oder anderen Drink für den persönlichen Geschmack, nur sollte man mit möglichst wenig Erwartungen (zumindest an Top World's 50 Placements gemessen) durch die Tür kommen.

/rds


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