#67 | Donkey Shoe, Warsaw, Poland
Last Visit: Fall 2024
Unser drittes Beispiel aus Warschau nach der Feliks Bar (ehemals Zaremba Cafe) und El Koktel führt uns nicht nur nach Polen, sondern indirekt auch nach Südamerika, Mittelamerika und ein bisschen in Richtung Tex-Mex. Donkey Shoe hat bei seiner Eröffnung in der polnischen Barszene großen Eindruck hinterlassen. Es wurde offensichtlich viel Geld und Mühe in diese Speakeasy-Bar gesteckt, die Teil eines größeren Projekts auf dem Norblina-Fabrikgelände ist.
Die Atmosphäre ist zumindest definitiv da. Bei Ankunft (auf der Suche nach dem Eingang) durchquert man die renovierten Industriehallen und folgt den alten Waggonspuren, die auf dem Boden zurückgeblieben sind, vorbei an unzähligen anderen Restaurants und Foodcourt-Bars mit jeder erdenklichen Art von Küche. Das ist Warschau, das sich von seiner neuen, selbstbewussten Seite zeigt. Ähnlich wie Elektrownia Powisle, ebenfalls in Warschau, oder Montownia in Danzig (das ich wärmstens empfehlen kann), handelt es sich hierbei um ehemalige Industriegelände, die zu Einkaufszentren und Veranstaltungsorten für Konzerte oder andere Events umgebaut wurden. Sie werden in der Regel von finanzstarken Unternehmen betrieben und beschränken sich selten auf eine einzige Bar. Norblina verfügt mittlerweile über mehrere Bars desselben Eigentümers und versucht, sich mit Cocktailwettbewerben und Masterclasses als eine Art Drehscheibe für die Barkultur in Polen zu positionieren.
Copyright Left: PhonoMedia / Right: Donkey Shoe
Der Eingang zur Bar selbst führt durch eine schwere Eisentür und dann über einige Stufen hinauf in einen recht gemütlichen Raum. Es gibt einige Sitzplätze, wobei die Bartheke in der namensgebenden Hufeisenform angeordnet ist. Als ich mich an die Bar setzte, schien das Personal überrascht zu sein, dass jemand: 1) direkt nach der Öffnung kommt, 2) allein an der Bar sitzen und tatsächlich die Speisekarte genauer studieren wollte. Das könnte darauf hindeuten, dass das hier trotz der aufwendigen Zutatenliste und des spezifischen Konzepts immer noch "nur" ein nett designter Ort für Verabredungen und After-Work-Drinks ist, mehr ein kuratiertes Erlebnis als eine authentische südamerikanische Location.
Wie immer vertraute ich der Empfehlung des Personals und bestellte einen leichteren Cocktail im Sour-Stil und einen geschmacksintensiveren Old Fashioned. Es gibt auch einige Bar-Snacks, die ich jedoch nicht probiert habe, zumal es direkt vor der Tür eine große Auswahl an Kulinarik gibt. Ich habe keine spezielle Spirituosenliste gesehen, aber ehrlich gesagt hat mich die Auswahl hinter der Bar auch nicht sonderlich interessiert. Es gibt viele sehr gute Standardprodukte, von denen einige in Polen weniger bekannt sind (wie Angel's Envy Bourbon), aber nichts, was man in einer Bar wie dieser unbedingt probieren möchte. Man erkennt durchaus den Fokus auf (Mittel)Amerika, zumindest im Vergleich zu anderen polnischen Bars, aber man darf eben keinerlei seltene Tequilas/Mezcals oder gar Sonderabfüllungen usw. erwarten.
Brisa Del Pacifico
| Bacanora
| Kumquat
| Meadow Saffron
| Citrus
| White Wine
| Cranberry
| Lemongrass
Eine Kräuternote steigt einem in die Nase, vermutlich der Safran und das Zitronengras, der Geschmack erinnert eher an Hustensaft (in deutlich reduzierter Intensität) und spritzige Zitronendrops. Es gibt einen leichten Hauch von Salz, der auf die "Brise" im Namen anspielt, aber nicht genug, um ihn interessant zu machen. Vielleicht hätte ich den Agaven-Spirit pur probieren sollen, um zu sehen, ob er diese Aromen hat und sie nur durch so viele zusätzliche Kräuter überdeckt wurden. Leider ist es ein etwas schwacher und wässriger Drink geworden. Es muss jedoch gesagt werden, dass es sich zumindest abseits der Klischees um ein interessantes Konzept handelt, nicht nur klassischer Sour/Margherita-Style. Was mich zu der Annahme veranlasst, dass in erster Linie das Konzept, der Name und die Präsentation die Leute überzeugen sollte und der Geschmack schließlich ein seichter Crowd Pleaser bleibt. Der Weißwein verleiht eine nette Note, die man sich für ähnliche Cocktails merken sollte.
Chamburrado
| Angels Envy Port Barrel Bourbon
| Coffee
| Caramel
| Banana
| Oloroso Sherry
| Chile Mulato
| Salt
Gesalzenes Karamell in der Nase, quasi ein Espresso Martini, aber als Old Fashioned zubereitet und ein weiterer Publikumsliebling, dem es etwas an Komplexität mangelt. Sehr dicht und süß, wobei sich alle zuckrigen Aromen so stark vermischen, dass sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Malzige Kaffeenoten wie Eiscreme mit Kaffee, etwas, das ich normalerweise mag, aber auch hier gibt es nicht viel Tex-Mex (der Bourbon stammt aus Kentucky). Der eingelegte Mais obendrauf (oder vielleicht ist das die in den Zutaten erwähnte Paprika, denn der Drink selbst hat sonst keinerlei Würze?) ist lecker und verleiht den fehlenden Gegenakzent. Mit einem Maisdestillat, vielleicht einer Pfefferinfusion und etwas, das die überwältigende Süße ausgleicht, wäre es großartig. Da es sich um einen sehr guten Bourbon mit schönem Finish handelt, den ich mag, ist der Preis von rund 10 Euro lächerlich fair. Aber andererseits ist die gesponserte Auswahl der Spirituosen hier bei dieser Weiterverarbeitung etwas sinnlos, und wer weiß, wie viel davon tatsächlich im Cocktail enthalten ist.
Das Team scheint ziemlich stolz auf ihre Frozen Cocktails, die sie - meinem Verständnis nach - das ganze Jahr über servieren, und obwohl ich sie nicht probiert habe, kann ich mir vorstellen, in welche Richtung sie gehen würden. In Bezug auf das handwerkliche Niveau, den Service und das Gesamtdesign liegt Donkey Shoe in all diesen Kategorien über dem Durchschnitt, insbesondere hier in Polen. Es ist eine der wenigen Bars in Warschau mit hochwertigem Eis (auch wenn das für die hier servierten Cocktails keinen gewaltigen Unterschied macht), und mir gefallen auch z.B. die kleinen gewebten Untersetzer unter jedem Cocktail.
Dennoch fehlt es mir an Charme und Authentizität, an einer echten Leidenschaft für lokale Spirituosen aus den verschiedenen Regionen Amerikas zum Beispiel und vor allem an kräftigen Aromen. Die Bar selbst befindet sich in einer so coolen Lage, umgeben von Geschichte, aber sie nutzt dieses Potenzial nicht. Stattdessen bleibt sie ein Symptom für neues Geld, das in trendige Locations für ein bestimmtes Publikum investiert wird.
Cheers,
/jf
Auszüge aus dem damaligen Menü (anklicken für Originalgröße):

